Stephan Klessinger, Markus Schneider für den Vorstand der IGOST e. V., in Kooperation mit der DGS, der ANOA und der DGOU.
In Ihrer Leitlinie geben die Autoren eine breite Empfehlung gegen eine Liste häufig verwendeter interventioneller Schmerzbehandlungen bei chronischen Rückenschmerzen [1]. Diese Empfehlungen stammen aus einem systematischen Review mit Netzwerk-Metaanalyse [2]. Es ist wichtig, die Ergebnisse dieser beiden Publikationen sorgfältig zu lesen und zu bewerten, warum sich die Schlussfolgerung dieser Analyse von anderen Reviews, Metaanalysen und Leitlinien unterscheidet. In diesem Kommentar sollen Anregungen zur kritischen Betrachtung gegeben werden.
Die Leitlinie wurde von einem Gremium von 22 Personen erstellt. Es ist erfreulich, dass auch Patientenvertreter einbezogen wurden. Allerdings hatten nur sechs Personen aus dem Gremium Erfahrung in interventioneller Schmerztherapie. Ausgewertet wurden ausschließlich randomisiert kontrollierte Studien (RCTs). Da die Quantität für einzelne Interventionen nicht hoch ist und eine ausgeprägte Inkonsistenz der RCTs besteht, sollte die Evidenz von hochwertigen Beobachtungsstudien ebenfalls ausgewertet werden. In der Metaanalyse wurde nicht unterschieden, ob bei den RCTs ein Vergleich mit Placebo oder ein Vergleich mit einem anderen Medikament durchgeführt wurde. Injektionen mit Kochsalz aber auch mit Lokalanästhesie wurden wie eine Placeboinjektion gewertet, wodurch eine Unterschätzung der tatsächlichen Wirksamkeit resultiert.
Eine valide Netzwerk-Metaanalyse beruht auf der Annahme, dass die in die Analyse einbezogenen Studien in allen wichtigen Faktoren, die die relativen Effekte beeinflussen können, ähnlich sind. Dies war in der hier diskutierten Analyse nicht der Fall. So werden zum Beispiel unterschiedliche Radiofrequenztechniken für die Halswirbelsäule und das Sakrum gemeinsam mit Techniken an der Lendenwirbelsäule analysiert und eine intraartikuläre gepulste Radiofrequenz (hierbei handelt es sich nicht um eine akzeptiertes Standardverfahren) wird gemeinsam mit einer thermischen Radiofrequenz des Medial Branch ausgewertet. Die Evidenz für eine gepulste Radiofrequenz am Sakrum lässt sich aber nicht auf eine Radiofrequenz-Denervation an der Halswirbelsäule übertragen.
Diese vorgehen führt zu einer starken Verallgemeinerung, wodurch Probleme entstehen können. Generalisierungen können zu Fehlschlüssen führen, da wichtige Unterschiede nicht berücksichtigt werden. Vereinfachungen können zu falschen Annahmen und zu unangemessenen Entscheidungen führen. Die dargestellte Studie fasst Krankheitsbilder mit deutlich unterschiedlichen Pathologien und Behandlungen in einem gemeinsamen Pool zusammen. So wurden Patienten mit axialem Rückenschmerz mit Bandscheibenerkrankungen, Facettengelenkserkrankungen und Muskelveränderungen gemeinsam analysiert. Die untersuchten Gruppen sind auch höchst heterogen in Bezug auf die Patientenpopulation, die behandelten Körperregion, und die verwendeten interventionellen Zugänge und Techniken und ob Bildgebung verwendet wurde oder nicht.
Für zwei sehr häufig verwendete Interventionen, die Radiofrequenz-Denervation und epidurale Injektionen soll exemplarisch aufgezeigt werden, dass eine Differenzierung zu anderen Ergebnissen führt als eine Verallgemeinerung.
Eine gepulste Radiofrequenz ist technisch nicht mit einer thermischen Radiofrequenz-Denervation vergleichbar. Auch die Indikationen sind unterschiedlich. Betrachtet man nur die thermische Radiofrequenz-Denervation, so ist bekannt, dass es wenige RCTs mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen gibt, wodurch eine Interpretation schwierig ist. Wird nun aber weiter differenziert nach unterschiedlichen Einschlusskriterien (wie viele Medial Branch Blocks, welche Schmerzreduktion) und nach unterschiedlichen Techniken (parallele oder rechtwinklige Nadellage, Dicke der Sonde, Temperatur) so ist es möglich, klare Empfehlungen für oder gegen eine Radiofrequenz-Denervation zu geben. Die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft hat 2023 eine S3-Leitlinie „Radiofrequenz-Denervation der Facettengelenke und des ISG“ herausgegeben, in welcher herausgearbeitet werden konnte, unter welchen Bedingungen gute Langzeitergebnisse erreicht werden können [3]. Übereinstimmend mit zwei aktuellen Leitlinien mehrerer internationaler Fachgesellschaften [4, 5], kann eine Radiofrequenz-Denervation empfohlen werden, wenn man den Empfehlungen der Leitlinie folgt.
Bei epiduralen Injektionen ist es ebenfalls notwendig, weiter zu differenzieren. Es macht Sinn, die drei existierenden Zugänge (transforaminal, interlaminär und caudal) getrennt auszuwerten. Auch berücksichtigt werden muss die Körperregion (Hals- oder Lendenwirbelsäule) und ob mit oder ohne Bildgebung gearbeitet wurde. Die Ergebnisse einer röntgengeführten, transforaminalen Injektion bei einem akuten bandscheibenbedingten radikulären Schmerz sind nicht vergleichbar mit den Ergebnissen einer ohne Bildgebung durchgeführten interlaminären Injektion bei einem chronischen Schmerzpatienten. Für beide Situationen braucht es unterschiedliche Empfehlungen, eine Verallgemeinerung erscheint nicht sinnvoll. Auch eine getrennte Auswertung, ob bei RCTs eine Placebokontrolle erfolgt ist, oder ob zwei Medikamente (z. B. Kortison mit Lokalanästhesie versus nur Lokalanästhesie) verglichen wurden kann sinnvoll sein. Eine solche differenzierte Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte findet sich in der S3-Linie „Epidurale Injektionen bei degenerativen Erkrankungen“, die von der DWG herausgegeben wird [6]. Die Leitlinie befindet sich momentan in der Phase der öffentlichen Konsultation (bei der AWMF einzusehen), wird dann durch die Fachgesellschaften geprüft und bald in der endgültigen Version bei der AWMF veröffentlicht. Die differenzierte Betrachtungsweise führt dazu, dass es sowohl Empfehlungen gegen als auch für Interventionen gibt. Wie in der vorliegende Metaanalyse heißt es, dass interlaminäre Injektionen nicht bei Rückenschmerzen ohne morphologisches Korrelat bzw. ohne radikuläre Komponente durchgeführt werden sollten. Andererseits gibt es aber auch bei hoher Qualität der Evidenz die Empfehlung, dass eine transforamiale Injektion unter Durchleuchtung bei radikulären Schmerzen durch einen lumbalen Bandscheibenvorfall angeboten werden sollte.
Für alle Interventionen gilt, dass die Indikationen streng gestellt werden muss, es muss die richtige Intervention ausgewählt werden und diese muss dann auch mit idealer Technik durchgeführt werden. Dann lassen sich nicht nur gute Therapieerfolge erzielen, es ist auch möglich mit diesen Techniken Schmerzquellen zu diagnostizieren. Nicht alle Interventionen und erst recht nicht alle Schmerzpatienten lassen sich generalisiert betrachten. Es sind individuelle Lösungen gefragt. Würde tatsächlich empfohlen auf alle in der Metaanalyse genannten Interventionen zu verzichten, so muss überlegt werden, was den Patienten als Alternative angeboten werden kann. Gegebenenfalls würden noch invasivere Verfahren vermehrt durchgeführt. Vielleicht könnte man sagen, dass eine strikte Empfehlung gegen Injektionen besteht, die nicht leitliniengerecht durchgeführt werden.
Die International Pain and Spine Intervention Society plant die Veröffentlichung eines Kommentars in der Zeitschrift Interventional Pain Medicine. Mehrere internationale Fachgesellschaften werden sich daran beteiligen.
Prof. Dr. med. Stephan Klessinger
Neurochirurgie Biberach
Eichendorffweg 5
88400 Biberach
klessinger@neurochirurgie-bc.de